Eine Hand hält die Bücher »Bone« und »In den Knochen« von Yrsa Daley-Ward vor einer Steinwand. Davor steht die Überschrift: Über Schmerzen, Sehnsucht und neue Kraft. Lyrik von Yrsa Daley-Ward
Lyrik

Yrsa Daley-Ward über Schmerzen, Sehnsucht und neue Kraft

Lyrik von Instagram mit großer Wirkung

Yrsa Daley-Ward erzählt Geschichten. Geschichten von Familie und Herkunft, von Weiblichkeit und Sexualität, von Sehnsucht und Trennung, von Schmerz und Dunkelheit, von Leben und Licht. Geschichten die in Gedichte gepackt klangvoll den ganzen Körper erfüllen. Und deren Resonanz noch lange in dir nachhallt.

»Story telling even in it’s simplest form can bring us together.«

Yrsa Daley-Ward, TEDxSquareMile, 2013.

Daley-Ward wurde 1989 in Nordengland geboren. Ihre Mutter kam aus Jamaika und der ihr unbekannte Vater aus Nigeria. Sie wuchs hauptsächlich bei ihren Großeltern auf, die Siebenten-Tags-Adevntist*innen waren. Mit Anfang zwanzig arbeitete sie bereits erfolgreich als Model und lebte für zwei Jahre in Südafrika. Doch das Schreiben war schon schon immer ihre Leidenschaft. Über Instagram (@yrsadaleyward) veröffentlichte sie erste Gedichte und wurde schnell dafür gefeiert. Im Eigenverlag veröffentlichte sie 2014 ihre Lyriksammlung »Bone« (dt.: »In den Knochen«), die 2017 in erweiterter Ausgabe bei Penguin erschien.

Buchcover und Zitat aus »Bone | In den Knochen«

Geschichten die heilen und verbinden

Sie ist Autorin, LGBT*I*Q-Aktivistin, Spoken-Word-Performerin und damit vor allem eins: Geschichtenerzählerin. Und das besondere daran ist, dass Schreiben für sie ein Prozess zu sein scheint. Ein Prozess, um sich selbst zu heilen und Macht über die eigene Geschichte zu bekommen. Schreiben wird in ihrer Lyrik zum direkten Empowerment.

Die Gedichte entziehen sich klassischen Reimschemata und erinnern teilweise an Poetry Slam Texte. Durch lyrische Sprache werden Erlebnisse aus dem Alltag, aus der Vergangenheit und aus dem eigenen Empfinden heraus erzählt und verarbeitet. Dabei reichen die Texte von komprimierten Aphorismen bis hin zu Kurzgeschichten, in denen mehrfach Erzählperspektiven gewechselt werden.

Oftmals geht um die eigene Familiengeschichte. Im Gedicht »it is what it is« reflektiert das lyrische Ich auf einer Beerdigung den Verlust der Eltern und die damit entstandene Lücke im eigenen Leben. In »this was the story« wird die Suche nach einer Vaterfigur mit dem fiktionalen Erzählen der Mutter über mögliche biologische Väter verbunden, während es immer um die Frage geht: Wo kommen wir her? Was hat das mit Heimat zu tun? Und wer kann die ersehnte Geborgenheit und Zugehörigkeit geben?

Lyrik aus dem tiefsten Inneren

Es geht um das Versagen der Männer – als Vater, als Ehemann, als Bruder, als Liebhaber – und welche tiefen Wunden Gewalt und Missbrauch auch Generationen hinweg verursachen. Religiöse Wertvorstellungen werden als Plattitüden entlarvt, die zu Gewalt gegenüber denen werden, die nicht kirchlichen Moralvorstellungen entsprechen.

Und gleichzeitig geht es auch um Heilung und um die Suche nach Liebe. In »artichokes« beschreibt das lyrische Ich das Entdecken und Ausleben der eigenen weiblichen Sexualität hoch erotisch und sinnlich. Dabei ist die Erzählstimme bewusst offen gehalten, damit Daley-Ward allgemein gültige Geschichten über Liebe und Beziehung erzählen kann, ohne auf eine Schublade von lesbischer Sexualität festgelegt zu werden.

»See that just outside there are people-
lined streets that are emptier than
your insides,
skies darker than your own.
Look for yourself, because it never
helps to hear from anyone else.«

Yrsa Daley-Ward, »mental health«.

In einem ihrer bekanntesten Gedichte »mental health« geht es um den täglichen Kampf mit Depression und das Überwinden von Suizidgedanken. Und ist damit eine Stütze für alle Menschen, die strugglen und eine hoffnungsvolle Anleitung, sich aus dem eigenen Dunkel zu befreien.

Die eigene Geschichte schreiben

Denn das trifft auf fast alle Texte von Yrsa Daley-Ward zu: Befreiung. Lösen aus dem Schmerz der Vergangenheit, des eigenen festgefahrenen Narratives über sich und die Welt, um selbstbewusst die Geschichte des Lebens schreiben zu können. Doch dafür ist es nötig, die eigenen Verletzungen erkennen und benennen zu können. Und die reichen tief bis auf die Knochen.

»You will come away bruised.
You will come away bruised
but this will give you poetry.«

Yrsa Daley-Ward, »poetry«.

Genau so tief dringen auch die Worte ihrer Gedichte in die Leser*innen. Es geht bis ins Mark, weil die Emotionen und Erfahrungen auch genau da her kommen: aus der Tiefe des Körpers, aus den versteckten und unbequemen Ecken der Seele. Sie rütteln an dem, das aus Selbstschutz lieber nicht angefasst werden will, doch lassen uns nicht in einer unbestimmten Verzweiflung allein, sondern zeigen, wie wir den Weg auch wieder hinaus finden. Wie wir nach einem beschwerlichen Weg wieder mutig, selbstbewusst und kraftvoll aufstehen.

Fazit

Yrsa Daley-Wards Lyrik ist wie eine gut Therapie – unbequem, doch all dem Schmerz und die Anstrengung wert, weil wir am Ende geläutert und bestärkt sind.

Vor der Lektüre

Triggerwarnung: Depression, Suizid, sexuelle Übergriffe.

Die Gedichtsammlung »Bone« von Yrsa Daley-Ward ist im englischen Original bei Penguin Books erschienen.

Und einer unglaublich großartigen deutschen Übersetzung von Nora Bossong und Gregor Runge gibt es »In den Knochen« bei Blumenbar (Aufbau Verlag).

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