Eine Hand hält das Buchcover von Christian Dittloff »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit« vor eine Steinwand. Daneben steht der Titel des Blogartikels: Prägung oder was prägt und was lässt sich prägen? Christian Dittloff denkt über Männlichkeit nach.
Roman

Dittloff: Prägung oder was prägt und lässt sich prägen?

Nachdenken über Männlichkeit

Die Frage nach Prägung und Männlichkeit hat sich Herbert Grönemeyer schon 1984 mit »Wann ist der Mann ein Mann?« gefragt. Bei Christian Dittloff lautet die Frage 2023 eher »Was macht den Mann zum Mann?«. Dabei erinnert die Formulierung bewusst an Simone de Beauvoir, die bereits 1949 in »Das andere Geschlecht« weibliche Geschlechtskonstruktion formulierte. Auch Männlichkeitskritik ist gerade in feministischen Kontexten keine Neuheit mehr. Doch es ist immer noch relativ selten, dass sich Männer selbst mit ihrem eigenen Mann-sein kritisch auseinander setzten. Christian Dittloff (*1983) stellt sich dieser Herausforderung in »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit« in Form einer reflexiven Suche in der eigenen Biographie.

Oder eher der Biographie des literarischen Ichs, das zwar scheinbar viele Parallelen zu Dittloff selbst nutzt, sich aber gleichzeitig durch den Vorsatz »All dies muss als etwas betrachtet werden, was von einer Roman Figur gesagt wird« wieder vom Autor distanziert. Doch nicht schonungslos ehrlich voran sondern eine Flucht zurück in die Fiktion? Vielleicht später dazu mehr.

Eine Hand hält das Buchcover von Christian Dittloff »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit« vor eine Steinwand. Daneben steht der ein Zitat aus dem Buch: »Und auch ich versuchte, einen Unterschied zwischen mir und anderen Männern zu betonen. Aber stimmt das, konnte ich es wirklich nicht nachvollziehen? Oder wies ich nur instinktiv meine Rolle im Patriarchat von mir? Versuchte ich meine Schuld der Möglichkeit zu tilgen?« (S. 156)
Buchcover von Christian Dittloff »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit« mit Zitat aus dem Buch

Prägung und Bruchstücke von Männlichkeit

Das Buch beginnt mit der Metapher des Steinbruchs, die mit verschiedenen Wortspielen und Wortbrüchen für alle Kapitel genutzt wird. Als »S T E I N bruch«, »S t E I nbruch« oder »S te I nbru CH« soll die Erzählstimme nach und nach einzelne Schichten von der großen Männlichkeitsvorstellungen abtragen, um zu schauen, welche Momente, Erfahrungen und Erlebnisse in der Biographie erst die materielle Grundlage für diese Vorstellungen, die Konstitution als Mann, gelegt haben.

Beginnend in der Kindheit über die Jugend bis in die jüngste Vergangenheit werden Anekdoten präsentiert, welche die Männlichkeit des Ich-Erzählers formten. Es geht um die Reflexion von Eltern und deren Rollen, Spielen und Aufwachsen mit Freund*innen, Beziehungen zu (Ex-)Freundinnen aber auch um den Einfluss von Hobbies, Musik und Literatur. Herausragend gut sind dabei die Stellen, an denen über die eigenen Vorbilder und den Vater nachgedacht wird.

Dittloff verdeutlicht das weite Netzt an Einflüssen, die einen Menschen prägen – nahe Beziehungen und Interaktion mit Bezugspersonen, aber auch Popkultur, zeithistorische Entwicklungen und gesellschaftliche Trends. Eigentlich alles. Und diese Komplexität findet sich auch in den einzelnen Kapiteln wieder, denn selten wird eine Anekdote stringent erzählt, sondern ist immer wieder durchbrochen von Selbstreflexionen der Erzählstimme aus der gegenwärtigen Perspektive, zusätzlichen Erinnerungen der Vergangenheit und gesellschaftskritischen Kommentaren. Dieses Netz zu weben und alle einzelnen Punkte wieder narrativ zusammen zu führen schafft Christian Dittloff so leicht, dass die Komplexität nie störend, sondern notwenig erscheint.

Schreiben als Prozess der Selbstfindung

Im Stil Roland Barthes entwirft sich der Ich-Erzähler im Prozess des Schreibens und der Reflexion über Vergangenes und Gegenwärtiges erst selbst. Identität ist keine feste Instanz, sondern wird von einem Selbst gebildet und von Umwelteinflüssen geprägt. So vielfältig die Prägung eines Menschen ist, so vielfältig ist auch das Thema Männlichkeit. Denn auch Männlichkeit ist nichts natürlich feststehendes, sondern wird immer wieder von Individuen selbst erst gebildet.

Christian Dittloff setzt mit »Prägung« scheinbar starren Konstruktionen ein fluides, mäanderndes Suchen gegenüber und lädt ein, an einem Reflexionsprozess teilzuhaben, der mehr Fragen stellt, als Antworten zu geben. Schon durch das literarische Konzept des Romans befinden wir uns in einem Schwebezustand, der sich auf die inhaltlichen Themen überträgt. Denn wer hat schon die eindeutigen Antworten, wenn es um komplexe gesellschaftliche Konstruktionen und Zusammenhänge wie Männlichkeit und Patriarchat geht?

Immer wieder wird über die Grenzen und Möglichkeiten des Erzählens über sich selbst und die eigene Vergangenheit reflektiert. Was wird in dem Prozess wie und warum fiktionalisiert? Welche Perspektive wird dazu eingenommen? Und was hat das mit Männlichkeit zu tun?

Warum braucht es dieses Buch?

An mehreren Stelle fragt sich die Erzählstimme, warum es dieses Buch braucht und warum die eigene Perspektive neu oder zumindest spannend sein kann. Direkt bekommen wir keine Antwort. Doch im Gegensatz zu gewohnten feministischen Forderungen gegenüber Männlichkeitskritik verzichtet Dittloff auf Härte und Klarheit, sondern entwirft eine cis-männliche Perspektive, die zart und unsicher ist, ohne sich dabei zurückzuhalten.

»Wenn ich meiner Prägung auf die Schliche kommen will, muss ich akzeptieren, dass ich nicht voll und ganz der Mensch, nicht der Mann bin, der ich gern wäre. Ein Riss im Selbstbild, während ich den Jungen, der ich war, dekonstruiere. Doch aus welcher Sichtweise kann ich den Jungen bewerten? Aus der Perspektive eines selbstkritischen Teils der Gesellschaft? Oder aber aus der Perspektive des noch patriarchaler und offen misogyn agierenden Mainstreams der vorangegangenen Dekaden?«

Christian Dittloff »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit«, S. 119.

Es geht selbstkritisch um für Männlichkeit tabuisierte Gefühle wie Scham, Angst und Selbstzweifel. Der Ich-Erzähler geht offen mit eigenen Fehlern und Situationen, die verletzten und in anderen Selbstbeschreibungen bewusst zur Seite geschoben werden, um. Denn genau die sind spannend, wenn es um Männlichkeit und deren Kritik geht. Wenn die eigene (Mit-)Täterschaft angesprochen wird. Wenn gezeigt wird, wie auch feministische Männer das Patriarchat aufrecht erhalten. Widersprüche werden aufgedeckt und müssen ausgehalten werden – auch und gerade in der Erzählung von Männern über ihre eigene Männlichkeit.

Doch so richtig weh tut es nicht. So richtig unbequem wird es nicht. Die Grenzen der Komfortzone werden zwar erreicht, aber mehrere Schritte darüber hinaus werden nicht gewagt. Es ist eben keine Flucht nach vorn.

Reicht das als Kritik an Männlichkeit?

Christian Dittloff stellt in dem Buch die Fragen, die schon längst in feministischen Diskursen über Männlichkeit als Selbstreflexion gefordert werden. Feministische Forderung erfüllt, props to you.

Komplexität, Prozesshaftigkeit, Dekonstruktion aufgezeigt und im Reflexionsraum genug Freiheit und Unsicherheiten gelassen, dass sich alles entwicklen und sich jeder wiederfinden kann. Wertschätzend und wohlwollend – check.

»Ich kann noch immer glänzen mit meiner gelernten Sanftheit. Ich begreife es erst jetzt beim Schreiben, dass darin auch eine Form der Machtausübung liegt, dass ich von Gewalt profitiere, sie mir zunutze mache. Meine Unbedrohlichkeit – habe ich sie kultiviert?«

Christian Dittloff »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit«, S. 119.

Doch da ist das Problem des Schwebezustands: Es wird nicht konkret genug. Und mit konkret ist gemeint, es wird keine wirkliche Verantwortung für das Handeln, das Prägen und das Mitgestalten übernommen. Dittloff bleibt mit »Prägungen« auf der Stufe stehen, wo das Subjekt geprägt wird und geht zu wenig der Frage nach, wie das Subjekt selbst prägt. Und wäre das nicht beim »Nachdenken über Männlichkeit« der eigentliche Knackpunkt?

Geht es nicht eher darum, einen Weg zu finden, wie jetzt mit den Erkenntnissen des langen und andauernden Prozesses der Selbstrefelxion umgegangen werden kann? Reicht es der Männlichkeitskritik, wenn ein hetero cis-endo Mann über bekannte feministische Fragen nachdenkt und sich der eigenen Angst, Schuld und Scham stellt? Oder sollte das nicht eher das bare minimum sein?

Der Schritt aus der Komfortzone raus, der Weg nach vorn, wäre daran anzuschließen und zu überlegen, wie sich die Prozesse der Selbstreflexion jetzt wieder auf das eigene Handeln und die erneute Konstruktion des Selbst auswirken. Nicht nur zu fragen: »Was hat es mit mir gemacht?«.
Sondern »was macht es zukünftig mit mir?« und vor allem »Wie geh ich damit um?«, »Wie kann ich für mich, mein Handeln, meine Prägungen Verantwortung in der Gesellschaft und mir selbst gegenüber übernehmen?«

Das ist das eigentlich anstrengende und unbequeme. Und zu diesen Fragen und Versuchen von Antworten muss Männlichkeitskritik aus cis-männlicher Perspektive kommen, um Patriarchats-kritisch zu sein.

Fazit

Christian Dittloff hat mit »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit« einen suchenden Roman geschrieben, der literarisch zur (Selbst-)Reflexion über Männlichkeit einlädt. Ausreichend wohlwollend und verletzlich, um in 2023 einen Platz in der Männlichkeitskritik zu finden. Aber nicht unbequem und herausfordernd genug, um einen Beitrag zur feministischen Patriarchatskritik zu leisten.


Vor der Lektüre

Inhaltshinweise/ Content Notes

S. 61ff. Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt
S. 136f Vergewaltigung
S. 151ff. mentale Gesundheit, Suizid
S. 156f. sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung

Christian Dittloff »Prägung. Nachdenken über Männlichkeit« ist im Berlin Verlag der Piper Verlag GmbH erschienen.


Bild zum Beitrag »Männlichkeit neu gedacht?«

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