Eine Hand hält das Buchcover von Alana S. Portero »Die schlechte Gewohnheit« vor einer Wand. Davor ist die Beitragsüberschrift: Worte, die sich in die Seele schreiben. Alana S. Porteros Debütroman »Die schlechte Gewohnheit«
Roman

Alana S. Portero: Worte, die sich in die Seele schreiben

»Ist es schlimmer einen Sohn zu haben, der schwul ist oder ein Junkie?« Das ist die gesellschaftliche Stimmungslage, in die uns Alana S. Portero mit ihrem Debütroman »Die schlechte Gewohnheit« mitnimmt. Oder anders gesagt: San Blas, Madrider Arbeiter*innenviertel, 1980er Jahre. Die Franco-Diktatur hängt noch in der Luft und aus der Nachbarwohnung sind deutlich die Zeichen häuslicher Gewalt zu hören. Doch die Solidarität in Viertel reicht soweit, dass sich alle mehr oder weniger beim Überleben unterstützen und sich die Jungen um die Älteren kümmern.

In mitten dessen wächst die Ich-Erzählerin auf, ein junges trans* Mädchen, das sehr sensibel die Welt mit ihren Vorurteilen und den Geschichten der Frauen um sich herum wahrnimmt. Schon früh fühlt sie sich zu den Frauen hingezogen, die von ihrem Umfeld als »grotesk« wahrgenommen und gemieden werden. Sie fühlt, dass die Welt auch für sie und ihre Weiblichkeit keinen Platz vorgesehen hat – oder wenn, dann nur am Rande der Gesellschaft, über den alle nur mit vorgehaltener Hand sprechen.

Eine Hand hält das Buchcover von Alana S. Portero »Die schlechte Gewohnheit« vor einer Wand. Daneben steht ein Zitat aus dem Buch: »Durch solche Peitschenhiebe, solche Sätze, die sich in mein Inneres hämmerten und die ich niemals vergessen würde, fand ich heraus, wer ich war. Bevor du dich selbst definierst, zeichnen andere mit ihren Vorurteilen und ihrer Gewalt deine Konturen vor.«
Buchcover von Alana S. Portero »Die schlechte Gewohnheit« mit Zitat

»La mala costumbre«, die schlechte Gewohnheit

Alana S. Portero hat mit ihrem Debüt »Die schlechte Gewohnheit« einen Roman geschrieben, der sich mit zarten Beobachtungen und tiefen Empfindungen direkt in den Körper einschreibt. Portero ist selbst trans*, Buchhändlerin und Schriftstellerin und ihr erster Roman, der 2023 im Spanischen Original »La mala costumbre« erschienen, wurde bereits in 11 Sprachen übersetzt. Die deutsche Übersetzung ist von Christiane Quandt, die es schafft, die ganz eigene Sprachmelodie des Originals zu übertragen und lebendig werden zu lassen.

»Die schlechte Gewohnheit« ist angelegt wie ein klassischer Bildungsroman: Es geht um das Aufwachsen und Erwachsen der Ich-Erzählerin und um die Momente, die sie als Menschen prägen. In wie weit »Die schlechte Gewohnheit« auch autobiographische Züge beinhaltet ist nebensächlich, denn Alana S. Portero erzählt eine Geschichte, die so oder so ähnlich jede trans* Frau, jede Frau, jede queere Person, jeder Mensch erlebt haben kann. So universell sind die Themen von Einsamkeit und Isolation, internalisierten Ängsten, Wunsch nach Freiheit, Streben nach Selbstverwirklichung und Frau sein.

»Ich träumte den ganzen Tag vor mich hin, aber ich war nicht in der Lage, mein eigenes Bild auf realistische Weise in die Zukunft zu projizieren. Als wäre das, was ich war, wer ich war, zu einer ewigen Kindheit verdammt, die mit der eigenen Existenz Verstecken spielt.«

Alana S. Protero, »Die schlechte Gewohnheit«, S. 52.

Gleichzeitig ist der Roman auch ein spezifisches Zeugnis eines queeren Madrider Lebens von den 1980er bis in die frühen 2000er Jahren, dass von der literarisch-bildlichen Sprache zwischen Leid und Leidenschaft an die Filmwelten Pedro Almodóvars erinnert. Dass der queere Kult-Regisseur eine besondere Bedeutung für Alana S. Portero hat, ist offensichtlich, denn er hat mit seinen Filmen, die fast immer Frauen-, queere und trans* Geschichten zentrieren, Sichtbarkeit für eine ganze Generation von Queers geschaffen, als »queer« noch vorrangig ein Schimpfwort war.

So zeit- und ortsspezifisch die Geschichte der Ich-Erzählerin auch anmuten mag, wird dennoch eine universelle Geschichte von Menschen erzählt, die von klein auf von der Welt beigebracht bekommen, dass sie anders sind.

Zärtlich und gewaltvoll zugleich

»Die schlechte Gewohnheit« ist zärtlich und gewaltvoll zugleich – ein mittlerweile gewohntes Narrativ queerer Romane, was Portero aber ganz einmalig bedient, denn die Gewalt wird nicht nach außen getragen, ausgestellt oder im Detail auserzählt, sondern tief in das Innere der Romanfigur geholt. Es geht um die Narben, die Patriarchat, Misogynie und Queerfeindlichkeit auf dem Körper und der Seele eines queeren Menschen hinterlassen. Internalisierter, also verinnerlichter, Selbsthass, Ängste, die eigene Identität zu leben, die Unfähigkeit sich selbst als lebens- und liebenswert zu begreifen, das sind die Folgen, die jeder noch so kleine queer- und transfeindliche Kommentar bei queeren Menschen hinterlässt.

Menschen, die von klein auf lernen, dass sie außerhalb der Norm leben und empfinden sind besonders sensibel für alles, was Abweichung beschreibt, benennt, verurteilt. Besonders sensibel für alles, was um sie herum gesagt oder auch nur angedeutet wird. Empfindsam für jeden noch so kleinen abwertenden Blick, der sich tief in das eigene Bewusstsein einschreibt und den queeren Körper für ein Leben lang zeichnet. Wie eine zärtliche Hand über die Narben auf der Haut streicht, erkundet Portero mit ihrer Ich-Erzählerin ein gezeichnetes Innenleben und legt Stück für Stück den Schmerz offen.

»Die Leute auf den Fotos, das ist meine Familie, meine Wahlfamilie, die habe ich mir ausgesucht. Genau wie ihr eine haben werdet, die euch gerade schon da draußen sucht. So zu sein wie wir, das ist etwas Wunderbares. Dass du nach den Bildern gefragt hast, bedeutet, dass du deine Familie brauchst. Pass auf, sie kommt zu dir, wenn du es am wenigsten erwartest, vielleicht sogar genau hier.«

Alana S. Portero, »Die schlechte Gewohnheit«, S. 105.

Um so stärker sind die wenigen Momente von queer und trans* joy, wenn die Hauptfigur ihre Weiblichkeit feiert, Geborgenheit und Liebe erlebt oder die Kraft der Community erfahren darf. Das sind auch die Stellen, die sich mir tief in den Körper eigeschrieben haben: Wenn der Kellner Antonio liebevoll die Geschichten seiner Wahlfamilie erzählt oder die Ich-Erzählerin in einer älteren Sexarbeiterin ihre trans* Mutter findet.

Die zärtliche Liebesgeschichte im Teeanager-Alter zu dem etwas älteren Jay, der selbst gerade erst Spanisch lernt und mit dem eine gemeinsame Sprache über Worte hinaus besteht, macht nicht nur der Hauptfigur Hoffnung. Die Coming-Out Szene in diesem Zusammenhang ist eine zärtliche inviting-in Erzählung und eine der stärksten, die es je in einem queeren Roman, Film oder einer Serie gegeben hat.

Symbolisch auferstehen und auf die Straße treten

Neben den hellen Momenten der Freue überwiegen die dunklen und gewaltvollen Episoden im Leben der Ich-Erzählerin. Doch anders als in »A Little Life« (H. Yanagihara) oder »Young Mungo« (D. Stuart) ist die Gewalt kein überdramatisiertes Stilmittel, das Leser*innen schockieren und erschüttern soll, sondern sie zeigt auf emphatische und einfühlsame Weise wie Depression, Selbsthass und Verzweiflung queere Leben prägen können.

In »Die schlechte Gewohnheit« geht es um Leben und Überleben – und für queere Menschen, im speziellen für trans* Menschen, ist Gewalt oft Teil dessen. Genau wie Liebe, Tod, Zärtlichkeit und Hoffnung. Denn Alana S. Portero lässt ihre Hauptfigur und damit symbolisch alle queeren und trans* Menschen nicht scheitern. Denn nach dem tiefsten Dunkel können wir Ende zusammen mit der Ich-Erzählerin symbolisch auferstehen und selbstbewusst auf die Straße treten.

Fazit

Alana S. Portero hat einen zärtlichen und einfühlsamen Roman geschrieben, der in aller Deutlichkeit zeigt, wie sich jeder noch so kleine abweisende Kommentar oder Blick in den Körper derer einschreibt, die von klein auf als »anders« wahrgenommen werden. »Die schlechte Gewohnheit« ist eine Erzählung über Frauen, trans* und queere Menschen, über Aufwachsen und Leben lernen, eine Liebeserklärung an Madrid und Arbeiter*innen – aber auch an alle, die außerhalb der Norm leben. Ein großartiges Debüt und schon jetzt eines meiner absoluten Lieblingsbücher!


Vor der Lektüre

Content Note/ Hinweise zum Inhalt: Durch das ganze Buch ziehen sich gewaltvolle Schilderungen von Dysphorie, häuslicher Gewalt, Queer- und Transfeindlichkeit.

Die Übersetzung verwendet an einigen Stellen gewaltvolle Begriffe und trans*feindliche Sprache, was zum einen vom Lektorat kommentiert wurde – super! – aber im Kontext der Erzählung entweder die gesellschaftliche Gewalt widerspiegelt, in der die Ich-Erzählerin aufwächst. Oder diese gewaltvollen Begriffe sich als Selbstbezeichnungen emanzipatorisch angeeignet werden.

»Die schlechte Gewohnheit« von Alana S. Portero ist bei Claassen aus der Ullstein Verlagsgruppe erschienen, Übersetzung aus dem Spanischen von Christiane Quandt.

Ein Interview mit Alana S. Portero und eine kurze Lesung aus dem Roman gibt es beim Radio Bayern 2.


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