Eine Hand hält das Buchcover von Bryan Washingtons »Dinge, an die wir nicht glauben« vor einer Steinwand. Davor ist die Überschrift geschrieben: »Dinge, die wir nicht sagen oder nicht sagen können. Bryan Washingtons Romandebüt«.
Roman

Bryan Washington über Dinge, die wir nicht sagen oder sagen können

Ein Romandebüt der queeren Wortlosigkeiten

Dinge, an die ich nicht glaube: Weltfrieden, dass Elvis lebt, Zweigeschlechtlichkeit, wahre Liebe. Gerade letzteres führt dazu, dass ich selten romantische Geschichten oder Beziehungsromane lese. Auch queere Stories eher in Ausnahme, weil die Beziehungen mir meist zu klischeehaft und die Charaktere zu flach sind. Doch Bryan Washingtons (*1993) Debütroman »Dinge, an die wir nicht glauben« (im englischen Original »Memorial«) hat gezeigt, dass es auch ganz anders geht.

Ben und Mike sind seit einigen Jahren in einer mehr oder weniger offenen Beziehung und seit einer Weile kriselt es mehr oder weniger unterschwellig. Als Mikes Mutter aus Japan überraschend zu Besuch kommt und er direkt nach Osaka zu einem kranken Vater fliegt, bleibt Ben mit der ihm unbekannten Mutter seines Freundes und seinem Frust zurück.

Buchcover von Washington »Dinge, an die wir nicht glauben« mit Zitat

Soweit das Grundgerüst, das vom Klappentext und in der Nacherzählung relativ soapy klingt. Doch schon, die ersten paar Seiten zeigen die große Stärke des Romans: Eine gekonnte Erzählsprache, die zwischen genauen Beobachtungen, Humor, Verletztheit und einer nur zu erahnenden emotionalen Tiefe nur so strotzt. Der Roman wechselt zwischen den Perspektiven von Ben und Mike, die jeweils in ganz eigenen Stimmen geschrieben sind. In der Mischung aus Alltagsgesehen und Anekdoten aus der Vergangenheit werden innere Monologe erzeugt, die tief in die Erlebens- und Gefühlswelt der Charaktere blicken lassen. So bekommen die Leser*innen ein größeres Verständnis von den Protagonisten, als sie es selber von einander als Paar haben – und das ist kalkulierte Tragik des Romans.

Wer nichts sagt, der nicht gewinnt

Denn schon hier wird klar, dass Kommunikation das große Schlüsselwort für Bryan Washington zu sein scheint. Es geht um die Dinge, die nicht gesagt werden können. Und es geht um Dinge, für die es noch keine Worte gibt. Gefühle, Sehnsüchte und Wünsche können nicht mittgeteilt werden, weil es kaum emotionale Sprache gibt. Woher auch? Denn hier lassen sich klassische Männlichkeitsproble direkt nachvollziehen. Sowohl Mike als auch Ben haben gestörte Beziehungen zu ihren alkoholkranken Vätern. Beide Väter haben sich aus ähnlichen Gründen aus dem Familienleben und aus dem Leben ihrer Söhne verabschiedet. Sowohl Mike als auch Ben haben ein Umfeld von häuslicher Gewalt durchlebt und leiden unter der fehlenden Anerkennung und queerfeindlichen Haltung der Vaterfiguren.

Mikes Mutter geht dahin, wo Mütter mit gebrochenem Herzen hingehen, sage ich.
In den Waschsalon, sagt Ximena.
Die Mall, sage ich.
Den Hundepark.
Ins Wellsnesscenter.
Den Markt.
Ins Fitnessstudio.
Die Kneipe.
Sicher nicht.
Was, sagt Ximena, denkst du, du bist der Einzige, der Sex braucht?

Bryan Washington »Dinge, an die wir nicht glauben«, S. 40f.

Es fehlt ihnen scheinbar an allem – einem stabilen sozialen Umfeld, einem Zugehörigkeitsgefühl in der weißen Mehrheitsgesellschaft, einer Heimat lokal wie emotional gesehen, einer Bezugsperson. Sie suchen einander immer wieder und wollen sich gegenseitig Halt geben und wissen doch gleichzeitig nicht wie. Queeres Beziehungsleben wirkt nicht klischeebeladen, weil nach und nach deutlich wird, warum keine heile Beziehungswelt möglich ist. Beide Figuren sind so uneins mit sich selbst, ihrer Vergangenheit und ihren Perspektiven auf die Zukunft, dass sie gar nicht zueinander finden können. Wechselnde Sexualpartner sind eher die Suche nach sich selbst und Zuneigung, statt nach Abenteuer. Sex ist Mittel, um mit dem eigenen Kommunikations- und Konfliktversagen umgehen zu können.

Wenn sich Traumata über Generationen hinweg fortschreiben

Und wer hätte das gedacht?! Diese Probleme liegen schon in der eigenen Familiengeschichte, in intergenerativen Traumata, die sich fortschreiben. Denn in »Dinge, an die wir nicht glauben« sind irgendwie alle Figuren lost. Die Elternrollen und -vorbilder wirken genau so verloren ob der Welt und ihrer eigenen traumatischen Erfahrungen wie unser orientierungsloses Beziehungspaar. Alle strugglen in irgendeiner Weise mit der eigenen Migrationsgeschichte und_oder mit Rassismuserfahrungen, die eine Suche und Sehnsucht nach Heimat unerfüllt lässt. Mit Gewalterfahrungen, die direkt mit Vorstellungen von Männlichkeit verbunden sind und dadurch alle zwischenmenschlichen Beziehungen generationsübergreifend stören.

Es gibt da diese Momente in deinem Leben – nicht zu oft, wenn du Glück hast –, wo einer, den du kennst, etwas über dein Schwulsein sagt, mit dem du überhaupt nicht gerechnet hast. Ben nannte es ein kleines Erdbeben. Ich denke nicht, dass er damit unrecht hatte. Es bringt dich aus dem Gleichgewicht, das ist es. Wie sehr, hängt davon ab, wo genau sich die Erdplatten übereinanderschieben. Wo die Bruchlinen verlaufen.

Bryan Washington, »Dinge, an die wir nicht glauben«, S. 287.

Doch gleichzeitig ist der Roman auch der Versuch, zu vergeben und diese schmerzhaften Vergangenheiten aktiv aufzuarbeiten – oder zumindest dem Versuch dessen. Und den daraus resultierenden Heilungschancen. Doch wer heilt hier wen? Alle sich selbst oder doch alle miteinander? Das ist die angedeutete und offene Frage, die jede Familie, jede Person für sich selber klären muss und auf die uns auch Bryan Washington keine konkrete Antwort geben kann oder will.

Fazit

Was zunächst leicht daher kommt, lässt ganz tief in die Dinge blicken, die nicht gesagt werden können, aber raus müssen. Bryan Washington hat einen knaller own voice Debütroman geschrieben, der noch lange in mir nachwirken wird. Und bei dem ich am Ende traurig war, dass er vorbei ging, weil wir die Figuren so ans Herz gewachsen sind und ich mir doch ein romantisches Ende für alle herbeigesehnt habe. Doch das gibt es nicht. Das müssen wir uns selbst schaffen.

Vor der Lektüre

Triggerwarnungen: Queerfeindlichkeit, HIV und Aids, Rassismus,
Krebserkrankung, Sterben und Tod, häusliche Gewalt.

Bryan Washingtons Debütroman »Dinge, an die wir nicht glauben« gibt es in der wunderbaren Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence im Kein & Aber Verlag.

*** Unbezahlte Rezension für Rezensionsexemplar. ***

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