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Sachbuch

Männlichkeit neu gedacht?

JJ Bola – Mask Off. Masculinity Redefined

Bereits 2019 ist das Buch »Mask Off. Masculinity Redefined« im englischen Original erschienen und hat eine erneute Diskussion um toxische Männlichkeit angerecht. Seit 2020 ist es unter dem Titel »Sei kein Mann« auch in Deutschland herausgekommen und hat viel Beachtung erfahren. Natürlich musste ich dieses Buch lesen, gerade weil es eines der wenigen Bücher ist, das sich explizit mit der Konstruktion von Männlichkeit auseinander setzt und das auch noch von einem Schwarzen Autoren, also einer Perspektive, die bisher im Diskurs wenig beachtet wurde.

Vorweg: Ich lese aus einer queer-feministischen Perspektive, selbst männlich sozialisiert definiere ich mich als gender-queer und nicht-binär außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit. Auch ist das Buch nicht meine Einstiegslektüre zu dem Thema gewesen.

JJ Bola Buchvorstellung mit Zitat
JJ Bola Buch »Mask Off« mit Zitat aus dem Buch

Was ist (toxische) Männlickeit?

Bola beginnt mit einer persönlichen Erfahrung: Als Teenager läuft in einer Gruppe von älteren Männern, teilweise Verwandte oder deren Freunde, und hält Hände mit seinem Onkel. Was er aus dem kongolesich-kulturellen Kontext als völlig normale Praxis von Vertrautheit unter Männern heraus kennt, wird auf den Londoner Straßen ganz anders bewertet. Er spürt den Blick anderen männlicher Teenager und ist peinlich berührt.

Was wie eine Belanglosigkeit beginnt, verweist auf einen wichtigen Sachverhalt: Männlichkeit ist ein Konzept, dass gesellschaftlich konstruiert ist. Das heißt, dass ein Verständnis davon, was es heißt, ein Mann zu sein, abhängig davon ist, in welchem sozialen Kontexten und zu welcher Zeiten wir uns bewegen. Männlichkeit ist nichts »natürliches«, sondern etwas »gemachtes«, eine Performance. Toxisch, also giftig, wird es, wenn die Vorstellungen reale Gefahren für Männer und Frauen mit sich bringen. Nach Bola sind das beispielsweise männliche Aggression und Gewalt, Scham, das Fehlen einer emotionalen Sprache oder sex und rape culture.

The more men and boys are allowed to express themselves, especially in an emotional way, without judgement (from other men, in particular), the sooner we will see a positive change.

JJ Bola »Mask Off« (S. 37)

Und damit sind wir schon bei dem, in dem Buch besonders gelungen ist. Denn die Analyse der verschiedenen Aspekte von Männlichkeit und wie die mit Emotionalität und Gewalt zusammen hängen, hat JJ Bola sehr gut aufgeschlüsselt und erklärt. Auch welche Probleme in diesem Zusammenhang im Bezug auf Sex, consent (Zustimmung) und Feminismus entstehen, sind gut dargestellt. Der politischen und patriarchalen Analyse der westlichen Gesellschaft – im Buch wird über Großbritannien geschrieben, doch die Sachverhalte lassen sich auf Deutschland gut übertragen – konnte ich auch einiges abgewinnen.

Wenn die queere Perspektive fehlt

Was mich an den Darstellungen stört, ist mal wieder die cis-heteronormative Sichtweise. Queerness wird zwar der Vollständigkeit halber mit genannt, oberflächlich besprochen und als große challenge von Männlichkeitsidealen erwähnt, geht aber in der Analyse nicht weit genug. Ein Verständnis von trans*, inter* und non-binary wird teilweise stark mit global-religiösen Motiven verbunden, findet jedoch darüber hinaus kaum Platz. Dabei ist gerade gelebte Männlichkeit, die außerhalb von cis-hetero Normen stattfindet, das Beispiel dafür, dass männliches Verhalten nicht immer toxisch, sondern feministisch, unterstützend und vor allem ungefährlich sein kann. Gleichzeitig wird viel davon berichtet, wie toxische Männlichkeit sich auch lebensgefährlich auf Männer und Frauen und deren psychische Gesundheit auswirkt. Jedoch ohne die explizite Gefahr für queere Menschen zu betrachten.

Gerade in den Kapiteln zu Medien und Sport wird die einseitige Perspektive deutlich. Wenn an dieser Stelle hate speech und Morddrohungen im Internet und lebensbedrohliche Situationen für queere Menschen in Umkleidekabinen und binären Sportgruppen außer Acht gelassen werden, ist das ein schweres Versäumnis.

Darüber hinaus kommen auch verschiedene andere intersektionale Aspekte zu kurz, gerade mit Hinblick auf Klassismus und wie dadurch Vorstellungen von Männlichkeit beeinflusst werden. Und dabei sind wir auch bei dem Grundproblem des Buches: Männlichkeit kann – genau so wenig wie Feminismus – nicht nicht intersektional gedacht werden! Denn dann werden Sachverhalte nur eindimensional betrachtet und nicht ausreichend mit anderen Identitätkategorien verknüpft.

Fazit

Zunächst einmal super, dass es dieses Buch gibt, denn je mehr über Männlichkeit und ihre toxische Ausprägung geschrieben und gesprochen wird, desto besser. Gerade für (jüngere) cis-hetero Männlickeiten oder für andere Interessierte, die in der Auseinandersetzung noch am Anfang sind, ist JJ Bolas »Mask Off« eine super Einstiegslektüre.

Doch wer schon mit dem Diskurs vertraut ist, wird von dieser Mischung aus Sach- und Selbsthilfebuch nicht ganz so begeistert sein.

Vor der Lektüre

Contentwarnung | Suizid und psychische Erkrankungen, gewalttätige Übergriffe, sexualisierte Gewalt

Das Buch gibt es im englischen Original bei Pluto Press oder auf Deutsch als »Sei kein Mann« bei Hanser.

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