Louie Läuger: Hilfen fürs Geschlechter-Chaos
Was ist eigentlich dieses Gender-Dings?
Gender, genderflux, genderqueer, non-binary, maverique, inter*gender, agender – es gibt so viele Begriffe rund um Geschlecht, dass den meisten Menschen der Kopf schwirrt. Doch zum Glück gibt es »Gender-Kram. Illustrationen und Stimmen zu Geschlecht« von Louie Läuger, ein Erklär-Comic, der eine Orientierung im ganzen Gender-Chaos sein kann.
Louie Läuger schafft es, auf ganz behutsame und wertschätzende Weise einen Einblick und Überblick über die vielen Themen rund um Geschlecht und Identität zu geben. Es fängt bei Vorstellungen und Begriffen eines sogenannten »biologischen/zugeschriebenen Geschlechtes« an, verweist auf die soziale Konstruktion von Gender und zeigt, was das mit Identität und verschiednen gelebten Identitäten zu tun hat. Es geht um Geschlechtsausdruck und warum queere Menschen ein coming out haben (müssen) oder ob wir es nicht vielleicht lieber als ein inviting in verstehen können.
Behutsam und wertschätzend ist der Erklär-Comic, weil Louie Läuger – hier auch die Erzählstimme, die durch das ganze Buch leitet – versucht, Menschen da abzuholen, wo sie gerade in ihrer eigenen Auseinandersetzung mit Geschlecht sind. Vielleicht ganz am Anfang oder schon mitten drin, ganz egal, alle können in »Gender-Kram« noch viel lernen. Denn es geht nicht nur um bloße Wissensvermittlung, sondern vor allem auch um Selbstreflexion und der Hilfe, sich mit sich selbst und der eigenen Identität auseinander zu setzen. An vielen Stellen gibt es Reflexionsfragen, die dazu einladen, die eigenen Erfahrungen und Haltungen zu überdenken. Oder einen Ausgangspunkt für die erstmalige Beschäftigung mit Themen rund um Geschlecht bieten.
Zudem wird in »Gender-Kram« sehr achtsam mit Perspektiven umgegangen. Louie Läuger macht von Beginn an die eigene Positionierung und damit verbundenen Sichtweisen klar und holt zur Unterstützung ganz viele verschiedene Stimmen von Menschen mit ins Buch und in den Diskurs, die ganz andere Erfahrungen machen. Ein super Weg, um intersektional zu arbeiten und marginalisierten Personen Raum zu geben. So finden 150 verschiedene Sichtweisen in diesem Erklär-Comic Platz und zeigen erst, wie vielfältig und komplex die ganze Welt der Geschlechter ist.
Viele verschiedene Zugänge zu Geschlechtern
Was ich an dem Buch besonders schätze: es schafft auf ganz vielen verschiedenen Ebenen Zugänge. Auf der einen Seite macht es Mut, mit Nicht_Wissen produktiv umzugehen. Immer wieder macht die Erzählstimme klar, dass es völlig ok ist, nicht alles zu wissen, nicht jeden Begriff zu kennen und sich nicht alles merken zu müssen. Das ist eine Form von Fehlerfreundlichkeit, die Lust auf Lernen macht. Zum anderen werden viele Dinge immer wieder erklärt. Das ist keine Wiederholung um Platz zu füllen, sondern das Aufzeigen von wichtigen Zusammenhängen – und ganz ehrlich, viele Dinge müssen immer und immer wieder klargestellt werden, damit wir sie auch endlich verstehen können.
Deshalb bietet sich dieser Erklär-Comic auch gerade zum mehrfachen Lesen an. Zum immer wieder herausholen und nachschlagen, zum neu Lesen und wieder auffrischen. Zum Durchblättern und da anhalten, wo noch mal nachgelesen werden muss. Oder um die Stellen wieder und wieder zu lesen, die Mut machen und dich bestärken in deiner Identität, in deinem Ausdruck, in deiner Daseins-Berechtigung.
Das tolle ist, jede*r kann sich das Buch zu eigen machen. Es lädt dazu ein, die individuell passende Auseinandersetzung mit dem Medium und dem Thema zu finden. Es ist erlaubt und erwünscht in Etappen oder nur in Teilen zu lesen, reinzuschreiben und eigene Gedanken festzuhalten. Oder eben auch nicht. Alle können selbst bestimmen – wie über ihre eigenes Geschlecht. Einfach toll, wenn Form und Inhalt zusammenfließen.
Zwischen Illustrationen und Text
Louie Läuger hat nicht nur einen künstlerischen Hintergrund – folgt alle gleich mal auf Instagram @tenderrebellions – sondern vor allem auch einen pädagogischen. Und das ist dem Erklär-Comic auch sehr stark anzumerken. Leider hat das nicht nur Vorteile, denn auch wenn die Illustrationen den Text aufbrechen und neue Zugänge schaffen, ist es vor allem sehr viel Text und sehr viel zu lesen und zu verstehen.
Ich habe auch an ein paar Probleme mit dem Layout des Buches, weil an einigen Stellen Farben nicht deutlich hervortreten und Panelgrenzen teilweise irritierend gesetzt sind. Auch finde ich die Schriftart, die für wörtliche Rede und Selbstreflexionsanleitungen gewählt wurde, schwer zu lesen, vor allem, wenn damit ganze Textblöcke gestaltet sind.
Irgendwie lässt sich auch in der Kritik wieder ein Zusammenhang von Inhalt und Medium/Form finden – denn es braucht Zeit, um sich mit dem Buch auseinander zu setzten. Genau so wie es Zeit braucht, sich mit selbst und er eigen Identität zu befassen.
Und dabei lässt sich vor allem einer der Grundsätze von »Gender-Kram« wiederholen – nehmt euch auch die Zeit, die ihr braucht und entscheidet selbst, was für euch wichtig ist und euch gut tut. Wie toll ist es bitte, dass uns das ein Buch sagt, mit dem wir lernen und uns mit uns selbst auseinander setzten können.
Fazit
»Gender-Kram« von Louie Läuger ist für alle geeignet. Punkt. Ich habe viel gelernt und beschäftige mich seit Jahren mit Geschlecht und mir selbst. Mir hat es an vielen Stellen weitergeholfen, gut getan und mich zum Nachdenken angeregt. Ich hoffe, euch auch.
Vor der Lektüre
»Gender-Kram. Illustrationen und Stimmen zu Geschlecht« von Louie Läuger
ist 2020 im Unrast-Verlag erschienen.
Lesung & Gespräch mit Louie Läuger aus dem Buch »Gender-Kram«
Neuvorstellung des Buchs »Rethinking Gender«
Moderation: Chris Tischer
Eine Veranstaltung der kohsie Diversity Buchhandlung in Kooperation mit der Volksbühne am Kaulenberg
📅 12.12.2022
🕢 19:30 Uhr
📍 Volksbühne am Kaulenberg, Halle (Saale)
Eintritt frei!
Weitere Infos zur Veranstaltung: https://kohsie.de/events/
Hier geht’s zur Illustrationswelt von Louie Läuger: https://www.tenderrebellions.com/
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