Gedanken und Diskurs

Pride (in the name of activism)

Ich habe ein Problem

Ja, ich gebe es offen zu: Ich habe ein Problem mit PRIDE. Ein großes sogar. Und das als queere Person.

Also jetzt nicht mit Pride an sich, denn es ist super geil, stolz auf die eigene Identität zu sein und das auch zu feiern. Sondern ich habe ein Problem damit, was in den letzten Jahren aus dem Pride-Month und CSD-Umzügen geworden ist. Auch damit wie die aktivistischen Bemühungen innerhalb der queeren Community schon lange nicht gleichermaßen getragen und gekämpft werden. Und ich habe ein Problem damit, dass sich viele auf ihren Privilegien ausruhen. Und mit Kapitalismus und Kommerzialisierung so wie so.

Das ist ein wütender und ärgerlicher Artikel. Warum? Weil ich betroffen bin und das Recht habe, wütend zu sein. Außerdem ist die Unzufriedenheit mit dem Ist-Zustand nicht zu letzt einer der Ausgangspunkte für Aktivismus – um Diskriminierung zu bekämpfen und das CISystem zu stürzen.

Deshalb habe ich ein paar Wünsche und Forderungen zusammengetragen. Sie richten sich an alle – also sowohl an die queere Community als auch die Menschen, die sich als queere Allies verstehen und alle anderen auch, denn es ist die große anonyme Masse, die bewegt werden muss.

Pride – in the name of activism

Stopp the rainbow-washing

Pride ist vollständig im Kapitalismus angekommen. Pride ist eine Marke geworden, mit der vor allem im Juni alle möglichen Güter – von T-Shirts über Socken bis hin zu Tassen und Werkzeug – mit Regenbogenfahren und -farben drauf verkauft werden können. Das Problem dabei ist, dass die wenigsten großen Unternehmen, die mit Symbolen der queeren Community Geld machen auch etwas mit dieser Community zu tun haben, geschweige denn sich für die Rechte von queeren Menschen einsetzten. Schon gar nicht weltweit.

Große Unternehmen schmücken sich in Verkaufseinrichtungen, Büros, social media Accounts im Juni mit jeglicher Form von Regenbogen, die es gibt, um zu zeigen, dass sie die besten Allies für die queere Community sind. Doch auf der einen Seite wird intern selten etwas getan, um diskriminierende Strukturen abzubauen und Diversität zu leben. Und noch weniger wird auf der anderen Seite darauf geachtet, wie Unternehmen global vernetzt sind und sich international für Menschenrechte einsetzten. Stichwort: Produktionsbedingungen von dem tollen Regenbogen-Shirt. Oder das Beispiel eines beliebigen Autokonzerns, der sich im globalen Norden mit Pride-Flagge präsentiert, doch gleichzeitig in Regionen produziert, in denen queeren Menschen die Todesstrafe droht.

Vor einer Steinwand ist ein weißer halb transparenter Kreis in dem steht »stop rainbow washing Unternehmen, die aktivistische Symbole der queeren Community für die eigene Gewinnmaximierung benutzen, betreiben kulturelle Aneignung und beuten marginalisierte Gruppen aus.«. Rings herum sind bunte Kreise in den Farben der Pride-Flagge.

Dieses Phänomen des rainbow washings bedeutet, dass kapitalistische Unternehmen ihr Image aufbessern wollen, in dem sie so tun, als ob sie besonders queer freundlich wären. Das ist eine Form von kultureller Aneignung, weil Unternehmen für den eigenen Nutzen (Gewinnmaximierung, Imagepflege) Symbole einer marginalisierten Gruppe (Pride-Flagge) nutzen, vermarkten und ausbeuten. Die Kommerzialisierung des Begriffs »queer« als Marke und die Verwendung von queeren aktivistischen Symbolen erfolgt offensiv auf Kosten der queeren Community, die in den wenigsten Fällen in ihrem Kampf gegen Diskriminierung und ums Überleben unterstützt wird.

Ich bin ganz ehrlich, ich bin mittlerweile nur noch genervt von Pride-Flaggs im Juni. Für mich ist diese Fahne ein Symbol für Zugehörigkeit, Gemeinschaft und einem Ort, an dem ich ein Stück weit mein Alarmsystem runterschrauben kann, weil ich nicht mit ständiger Anfeindung rechnen muss. Doch die kommerzielle Ausnutzung zerstört diese positiven Bezüge. Und wenn Unternehmen mit Queerfreundlichkeit unter dem Regenbogen werben, ich aber einen queerfreindlichen und cis-dominanten Spruch von der Person an der Kasse gedrückt bekomme, ist bei mir so wie so alles vorbei.

Queer is a riot

Queer ist vielfältig und mit diesem Begriff kann alles und nichts gemeint sein (siehe dazu den wunderbaren Erklär-Comic »Queer. Eine illustrierte Geschichte«). Doch ursprünglich war und ist queer a riot – ein Kampf gegen die Unterdrückung und gegen das System. Und zwar ein intersektionaler Kampf gegen weiße Vorherrschaft, Kapitalismus und das binäre System. Klingt komisch? Vielleicht weil queer in den letzten Jahren vermehrt zu einem netten Kuschel-Begriff verkommen ist, von dem sich die weiße, cis-heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft auch nicht gestört fühlt.

Vor einer Steinwand ist ein weißer halb transparenter Kreis in dem steht »queer ist eine Rebellion gegen bestehende Machtverhältnisse und keine Anpassung an die Mehrheits-gesellschaft«. Rings herum sind bunte Kreise in den Farben der Pride-Flagge.

Eines der wichtigsten Ereignisse für den queeren Aktivismus waren und sind die Stonewall Riots vom 28 Juni 1969. In der Nacht von Freitag auf Samstag wehrten sich die Besucher*innen der queeren Bar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street gegen die Polizisten, die gewaltvoller die Bar stürmten. Allen voran Masha P. Johnson und Sylvia Rivera – und mit ihnen queere jugendliche Obdachlose und queere Menschen of Color, Sexarbeiter*innen und trans*Aktivist*innen. Der Widerstand der Nacht wurde zu Unruhen, die das ganze Wochenende andauerten und zur Gründung der Gay Liberation Front, einer der ersten großen queeren Widerstandsnetzwerke, führte.

Die Geschichte von Stonewall und des queeren Aktivismus wurde in den folgenden Jahren von weißen cis Schwulen und Lesben der Mittelschicht für sich eingenommen und ausgebaut. Schwarze und Queers of Color, trans* Aktivist*innen und Sexarbeiter*innen wurden systematisch und teilweise gewaltvoll aus der Bewegung verdrängt und statt einer intersektionalen Revolution wurde eine komfortable Anpassung an die weiße Mehrheitsgesellschaft gesucht. Das beste Beispiel dafür: die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare, die zum Sinnbild der schwul lesbischen Bewegung wurde. Klingt neu für dich? Dann kann ich dir nur die Lektüre von »Queer und (Anti-)Kapitalismus« empfehlen.

Hier ist das Phänomen white washing gut zu beobachten, mit dem Schwarze Perspektiven, aber auch die von trans* Aktivist*innen und Arbeiter*innen verdrängt werden und eine weiße mittelständige Sichtweise alle historischen Narrative verdeckt. Damit wird es mehrfachdiskriminierten Menschen innerhalb der queeren Community zusätzlich erschwert, Aufmerksamkeit und Anerkennung für die eigenen Lebensrealitäten, Forderungen und Perspektiven zu bekommen.

Support your sisters not your cisters

Eine queere Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft verbunden mit weißer Dominanz hat hauptsächlich einen Gewinner: den weißen cis schwulen Mann. Herzlichen Glückwunsch zum festen Platz in der vordersten Reihe.

Vor einer Steinwand ist ein weißer halb transparenter Kreis in dem steht »Menschen innerhalb der queeren Community müssen sich gegenseitig mehr zuhören, um gemeinsam füreinander und gegen unterdrückende Machtstrukturen zu kämpfen.«. Rings herum sind bunte Kreise in den Farben der Pride-Flagge.

Ich will damit nicht sagen, dass schwule Männer nicht mehr diskriminiert werden, sondern dass sie mittlerweile mehr Privilegien genießen, als die meisten anderen Menschen der queeren Community. Und damit auch mehr wachsende gesellschaftliche Anerkennung und Repräsentation in den Medien. Das ist absolut positiv. Mehr queere Repräsentationen überall!

Doch damit hört der queere Aktivismus nicht auf! Und queer ist auch viel mehr als schwul oder lesbisch, was oftmals der Mehrheitsgesellschaft gar nicht bewusst ist.

Denn nach lang ersehnten und endlich erreichten Zielen wie der Eheöffnung, muss es jetzt darum gehen, zusammen als Community für Rechte von trans*, inter*, nicht-binären Menschen zu kämpfen. Es muss darum gehen, rassistische Strukturen in der queeren Community und in der Gesellschaftschaft zusammen anzugehen. Es müssen gemeinsam Barrieren im Alltag abgebaut werden, damit auch queere Menschen mit einer zugeschriebenen Behinderung mehr Zugänge und Teilhabe bekommen. Es muss zusammen an den Fronten zu Cis- und Heterosexismus gekämpft werden, damit care-Arbeit umverteilt und entlohnt wird und die Lage für Sexarbeiter*innen verbessert wird.

Sprich, es geht um einen gemeinsamen intersektionalen queeren Aktivismus! Es geht darum, die Vielfalt der Lebensrealitäten innerhalb der Commuinity auch außerhalb der Kategorien Liebe und Sex zu sehen. Dafür braucht es mehr Solidarität untereinander – oder besser gesagt, verbündetes Handeln, klassisches Allyship, auch innerhalb der queeren Community. Das bedeutet auch, innerhalb der Community mehrfachdiskriminierten Personen und Gruppen mehr Raum zu geben, um ihre Perspektiven und Forderungen zu teilen. Es geht darum, Raum einzunehmen und Raum zu bekommen – von anderen Queers und in der Mehrheitsgesellschaft. Und das fängt mit der kritischen Auseinandersetzung von Männlichkeit und weißer Dominanz innerhalb von queeren Gruppen an.

Just a party is not enough

Pride als Party ist ein wichtiger Bestandteil für viele queere Menschen. Für einige ist es ein empowerndes Erlebnis, das erste Mal auf einem CSD mit zu laufen. Stolz zu sich und zu der eigenen Community zu stehen, ist ein unglaublich wertvoller Moment und eine wichtige Erfahrungen für queere Menschen, die oftmals keinen Platz in biologischen Familienverhältnissen oder gesellschaftlichen Anforderungen haben. Es geht darum, sich gemeinsam zu feiern – und das auch noch öffentlich. Beste!

Doch es darf auch hier nicht vergessen werden, dass sich Machtstrukturen und Ungleichheiten auch durch klassische CSD-Paraden und Pride-Partys ziehen. Bestes Beispiel dafür sind Oberkörper-freie oder nackte durchtrainierte Gays. Wieder nicht falsch verstehen: Gönnt euch! Gönnt euch euren Körper, die Körper anderer und Sexparties auf dem CSD! Doch Sexpositivität ist etwas anderes.

Seid euch bitte bewusst, dass nicht alle Menschen der Community dieses Privileg haben, ihren Körper einfach so zu präsentieren. Fragt euch bitte, wie sichere Orte für Menschen mit Brüsten aussehen könnten. Oder wie sich möglicherweise trans* Personen fühlen. Oder was euer nackter Körper für eine Wirkung auf Menschen hat, die nicht gängigen Schönheitsidealen und Körperformen entsprechen.

Das ist nur ein Beispiel. Wir können bei rassistischen Türpolitiken, räumlichen Zugangsbarrieren oder fehlenden Awareness-Strukturen auf Veranstaltungen weiter machen. Und auch das ist erst der Anfang.

Vor einer Steinwand ist ein weißer halb transparenter Kreis in dem steht »Pride muss mehr sein, als nur kurze Aufmerksamkeit, Konsum oder eine CSD-Party. Pride muss intersektionaler queerer Aktivismus sein – das ganze Jahr.«. Rings herum sind bunte Kreise in den Farben der Pride-Flagge.

Wenn die queere Community schon gemeinsam stolz feiert, dann bitte auch so, dass alle Menschen der Community daran teilhaben können. Und sich auch halbwegs sicher fühlen können, d.h. keine Ausschlüsse, Abwertungen oder mögliche Retraumatisierung durch die eigene Community zu erfahren. Denn nur so können alle queere Menschen empowernde Momente mit der Wahlfamilie haben.

Und wieder sind wir wieder an dem gleichen Punkt – wir brauchen mehr gemeinsamen Aktivismus! Denn ne coole Party reicht vielleicht für die einen, ändert aber nichts an den Herausforderungen, Schmerzen und der Gewalt, denen sich viele queere Menschen jeden Tag stellen müssen.

Let’s come together – right now

Um wirklich etwas an der Lebenssituation von queeren Menschen zu ändern, braucht es nicht nur eine wertschätzende Community, die sich untereinander unterstützt, sondern auch Verbündete in der Mehrheitsgesellschaft. Sogenannte Allies. Also cis-heterosexuelle Menschen, die sich für queere Themen einsetzten. Und nicht nur zu queeren Popiconen auf Partys tanzen. Das kann damit losgehen, einfach ganz selbstverständlich bei Begrüßungen oder auf social media Profilen das eigene Pronomen zu teilen, um damit Räume für trans*, inter*, nicht-binäre Menschen zu öffenen. Oder sich selber zu informieren und nicht die nächst beste queere Person nach ihren Diskriminierungserfahrungen zu befragen. Oder die eigenen Ressourcen als Unterstüzung für poitische Kämpfe anzubieten.

Es braucht Netzwerke, um gemeinsam gegen Unterdrückung und Diskriminierung einzustehen. Es braucht queere Perspektiven in allen Bereichen – und genau so müssen auch alle Aspekte von Machtstrukturen bei queeren Kämpfen mitgedacht werden. Intersektionalität ist hier das Stichwort. Denn kein Mensch ist nur schwul, lesbisch, bi, trans*, inter*. Es braucht gemeinsame Netzwerke mit feministischen Gruppen, Anti-Rassistischen Organisationen, Netzwerken für Menschen mit Behinderung und und und.

Und das nicht nur für 30 Tage im Jahr. Ein Monat reicht nicht, denn Queerfeindlichkeit, gewaltvolle Übergriffe, dumme Sprüche und diskriminierende Strukturen gibt es auch an jedem anderen Tag des Jahres. Nur wenn es eine kontinuierliche und vielstimmige Aufmerksamkeit für queere Themen gibt, können wir vielleicht auch etwas ändern.

Erster Schritt: Die eigenen Privilegien reflektieren.
Zweiter Schritt: Anderen zuhören.
Dritter Schritt: Durchatmen, sacken lassen und von vorn.

Und das gilt für alle – für Menschen, die sich als Teil der queeren Community verstehen, für die, die gerne queere Allies sein wollen und für die anonyme Menge ebenso. Vielleicht können wir dann irgendwann jeden Tag des Jahres einen Pride feiern, weil wir stolz sein können auf unsere queere Identität und unser Umfeld, dass uns ohne Vorbehalte genau so queer sein lässt, wie wir es wollen.


Chris schau vor einer Steinwand schräg nach oben. In Blickrichtung ist ein weißer Kreis mit der Innschrift: »Homonormativität vs. queerer Aktivismus«

Lust auf mehr Kritik an queerer Community und dem System? Dann klick hier: »Homonormativität vs. queerer Aktivismus«

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