Eine Hand hält das Buchcover von Katharina Volckmer »Der Termin« vor einer Steinwand. Davor steht die Überschrift: Termin zum Hitler f*cken mit dem neuen jüdischen Schw*nz. Katharina Volckmer über Selbsthass, Abrechnung und Vergangenheitsbewältigung.
Erzählung,  Roman

Katharina Volckmer: Termin zum Hitler f*cken mit dem neuen jüdischen Schw*nz

Über Selbsthass, Abrechnung und Vergangenheitsbewältigung

CN: Hitler, Nazis, Transition

Dass Deutschland ein Problem mit Nazis, Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungskultur hat, ist relativ offensichtlich, wenn mensch sich derzeit mal auf der Straße umschaut. Dass auch das Patriarchat allgegenwärtig ist und Menschen in ihrem Verhalten und ihren Fähigkeiten reglementiert, ist mittlerweile auch vielen bekannt. Wir alle kennen die Anstrengung die es braucht, sich auch nur ein Stück von all diesen Dingen zu lösen, die über Generationen hinweg in uns und unsere Körper eingeschrieben sind. Und genau in diese Kerbe schlägt Katharina Volckmer mit »Der Termin«.

Termin bei Dr. Seligman

Eine Person sitzt auf dem Stuhl bei Dr. Seligman und beginnt ungehalten zu erzählen. Von Sexphantasien mit Hitler, den konservativen und biederen Ansichten der Deutschen, von einer intensiven Beziehung zu dem verheirateten K. und vom Hass auf den eigenen Körper und auf alle Zwänge von Weiblichkeit. Dr. Seligman wird vom Psychiater über den Gynäkologen hin zum plastischen Chirurgen. Denn die Person sitzt mit gespreizten Beinen auf dem Untersuchungsstuhl für eine geschlechtsangleichende Operation mit dem Ziel, einen neuen jüdischen Penis von dem jüdischen Arzt zu bekommen.

Eine Hand hält das Buchcover von Katharina Volckmer »Der Termin« vor einer Steinwand. Daneben steht ein Zitat aus dem Buch: »Ich habe nie verstanden, wie Gott, der selber gar nicht gebärfähig ist, der Ursprung allen Lebens sein soll – wie ein Mann unser Schöpfer sein kann. Außer natürlich, wir sind alle das, was man auf Deutsch eine Arschgeburt nennt. Vielleicht ist unsere Welt genau das, Dr. Seligman: etwas, das aus dem Arsch eines heiligen Mannes gekommen ist, die Überreste von kaputten Sternen und einem implodierten Universum.« (S. 95)
Buchcover von Katharina Volckmer »Der Termin« mit Zitat aus dem Buch

In »Der Termin« verliert sich die erzählende Ich-Person in einem assoziativen Monolog, einem typischen stream of consciousness, denn es gibt viel, dass scheinbar endlich in Worte gefasst werden muss. Es geht um die großen Dinge – Schuld als großes intergeneratives und gesellschaftliches Thema. Es geht um Ängste und Lügen. Es geht um Sex und Begehren. Um Religion. Es geht darum, wütend mit der Vergangenheit abzurechnen, um endlich frei zu sein. Es wird schnell existentiell.

Aber mein Wunsch ist keineswegs politisch, Dr. Seligman. Die universelle Gewalt meinem Körper gegenüber ist mir schon lange gleichgültig. Ich bin einfach erschöpft, und die Vorstellung, mich allein auf mein Begehren zu konzentrieren, erscheint mir wie ein lang vergessener Traum.

Katharina Volckmer, »Der Termin«, S. 16.

Katharina Volckmer, Jahrgang 1987, wurde in Deutschland geboren und lebt seit dem Studium in London, wo sie bei einer Literaturagentur arbeitet. Ihr Debüt »Der Termin« hat sie 2020 auf Englisch geschrieben – um die nötige Distanz und die richtigen Worte zu haben, um mit ihrem deutschen Ich und einer ganzen deutschen Identität, sofern es diese irgendwie gibt, hart ins Gericht gehen zu können. In der deutschen Übersetzung von Milena Adam wurde »Der Termin« 2021 zu einem der meist bedachtesten Indie-Büchern des Jahres.

Wie radikal ist Sex mit Hitler?

Der Roman – steht vorne drauf, ich würde es eher in die Kategorie Erzählung packen – wurde als radikal und vulgär beschrieben. Warum? Weil offen über Sex und sexuelles Begehren gesprochen wird? Weil obszöne Witze über Hitler und Nazi-Deutschland gemacht werden? Weil wir eine Erzählperson erleben, die mitten in ihrer Transition steckt und offen über ihre geschlechtliche Identität nachdenkt? Wenn das als vulgär und radikal bezeichnet wird, dann sagt das mehr über die deutsche Literaturlandschaft und -kritik als über Katharina Volckmers Buch.

So ambitioniert die großen existentiellen Themen auch daher kommen mögen, Katharina Volckmer schafft eine leicht und vor allem sehr bissig-humorvolle Erzählung. Wir kommen erst langsam und Anekdote für Anekdote in die Welt und Gedanken der Erzählstimme. Das Setting ist so minimalistisch, damit die Worte mit großer Wucht einschlagen können. »Der Termin« stoßt vor den Kopf, bricht mit Konventionen und legt den Finger in die Wunden, die viele Menschen zur dringend nötigen Selbstreflexion anregen soll.

Befreiung vom Selbsthass

Die*r Ich-Erzähler*in legt den internalisierten Selbsthass schonungslos offen. Was es bedeutet als Mädchen aufwachsen zu müssen und schon früh die Rolle und den Körper abzulehnen und zu lernen, dass diese Körperdysphorie sich auf alle Bereiche des Lebens auswirkt.

Eine Transition findet hier auf mehreren Eben statt: in der Geschlechtsidentität, um als Mensch mit Penis und neuem selbstgewählten Namen leben zu können; in einer gesellschaftlichen, um als Immigrantin aus Deutschland endlich mit den Nazi-Wurzeln der Vergangenheit abzurechnen; und in einer Form der Läuterung, um sich durch den Monolog der Wahrheiten endlich von alten Lügen zu lösen.

Lügen, die Teil des Lebens sind, um irgendwie zwanghaft Teil des binären Geschlechtssystems zu sein. Lügen als gesellschaftliches Wegschauen vor der eigenen Vergangenheit und Verantwortung. Lügen als Ermächtigung, um irgendwie die eigene Geschichte, das eigene Narrativ bestimmen zu können. Und Lügen als kleine Rebellion.

Aber es war schon immer eine meiner vielen Schwächen, Dr. Seligman, dass ich mir das Unglück der anderen nicht vorstellen kann. Mein ganzes Leben habe ich mich von der Gesellschaft so sehr bedrängt befühlt, dass ich allen, die nach ihren Regeln leben, das Recht aufs Unglücklichsein abgesprochen habe.

Katharina Volckmer, »Der Termin«, S. 71.

Freiheit ist das oberste Ziel der erzählenden Person – das Loslösen von Körper- und Weiblichkeitszwängen, von Konventionen und der biederen Gesellschaft, von der Vergangenheit als Deutsche und von Moralvorstellungen.

Radikal ist das nicht alles – eher schonungslos ehrlich. Auch der stream of consciousness ist keine neue Erfindung. Und die behandelten Themen finden seit einiger Zeit ihren Platz im Mainstream der Literatur. Vulgär ist es auch nicht. Es wird halt offen über Sex gesprochen und Schwanz ist ein häufiges Wort, doch es ist weder Sex-positiv noch queer, um heteronormative Zwangsvorstellungen aufzubrechen.

Das Problem mit der Fetischisierung von Körpern

Vielmehr ist es an vielen Stellen fetischisierend, vor allem wenn jüdische Männer zum Sexobjekt gemacht werden, um die eigene Nazi-Vergangenheit zu überwinden. Wenn der jüdische Penis zur Messiasvorstellung wird – dann geht es einen Schritt zu weit, weil die sexuelle Aufladung und Exotisierung von marginalisierten Gruppen ein viel zu bekanntes rassistisches Narrativ ist, das es an der Stelle absolut nicht braucht. Schon gar nicht verbunden mit einer Transitionsgeschichte und Freudschen Penisneid-Phantasien. Da werden Themenkomplexe miteinander in Verbindung gebracht, die Queerness und jüdisch-sein als Fetisch ausstellen, was absolut an Lebensrealitäten vorbei geht und eher grenzüberschreitende Narrative in die diskriminierende Richtung sind.

Irgendwie fühlt sich für mich die Queerness der Erzählung nicht authentisch an. Was vielleicht zum einen daran liegt, dass viele Besprechungen als auch der Klappentext es nicht hinbekommen, trans* Identitäten nicht mit trans*feindlicher Sprache zu bennen – Die Erzählstimme ist keine Frau, darum geht es ja die ganze Zeit. Wer das nicht checkt, sollte bitte an der eigenen Trans*feindlichkeit arbeiten bevor ein solches Buch besprochen wird.

Und zum anderen wird die Transition hier als Metapher gebraucht – es geht nicht wirklich um Geschlechtsidentität, sondern eher um einen generellen Befreiungsschlag von Konventionen und Normen. Klar, das ist ein ur-queeres Thema, doch irgendwie wirkt es für mich eher als Mittel zum Zweck, als Provokation, um möglichst radikal zu wirken, statt wirklich queer zu handeln oder queer zu schreiben.

Die Sehnsucht nach dem Penis ist bei Volckmer eine Sehnsucht nach Macht und Kontrolle. Mit dem (jüdischen) Penis soll sich aus der eigenen Unterdrückung – durch Patriarchat und Weiblichkeit als auch durch Schuld der Geschichte – befreit werden. Deshalb funktioniert auch nur der Witz mit den Sexphanasien und Hitler. Doch auch das ist letztendlich nur die Reproduktion patriarchaler Gewalt – durch eben einen Penis. Also keine Innovation und kein Empowerment.

Fazit

Alles in allem ist »Der Termin« von Katharina Volckmer eine Leseempfehlung. Diese Art von Hitler-Humor hätte ich gerne mehr, weil es nicht um Lächerlichkeit, sondern um Gesellschaftskritik auf ganz verschiednen Ebenen geht. Und die braucht es, um sich von zwanghaften und einengenden Konventionen zu lösen. Und das ist ja dann doch irgendwie queer.

Vor der Lektüre

Triggerwarnung: Trans*feindlichkeit, Suizid, Kindstod, Hitler und Nationalsozialismus

»Der Termin« von Katharina Volckmer ist in der deutschen Übersetzung von
Milena Adam im Kanon-Verlag erschienen.

*** unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar ***


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